Elke Breitenbach und Alexander Fischer fordern im Tagesspiegel (09.01.2021) einen 7-Punkte Masterplan gegen die Wohnungslosigkeit in Berlin nach dem Prinzip "Housing First" und betonen, wie wichtig dabei Hilfsangebote in Form von Gemeinschaftsunterkünften und betreuten Wohnformen sind, wo Obdachlose auf Basis des Ordnungs- und Sozialrechts untergebracht werden können.
Tagesspiegel: "Housing First!" - So könnte Berlin Obdachlosigkeit bis 2030 beenden
Auch unter den noch nicht abzuschätzenden Auswirkungen der Pandemie fordern sie die Berliner Wohnungslosenpolitik einer Generalrevision zu unterziehen. Diese Generalrevision soll mit einem zentralen Paradigmenwechsel beginnen: "Wohnungslose Menschen brauchen zuallererst eine Wohnung und wenn nötig entsprechende Angebote für Beratung und Unterstützung. Die Aufgabe eines auf Empowerment und Emanzipation orientierten Sozialstaats ist es, den Weg von der Wohnungslosigkeit in einer Wohnung so kurz und schnell wie möglich zu bahnen." Deshalb solle "Housing First" das Leitmotiv der Wohnungslosenpolitik der 20er Jahre werden, damit die Beendigung der unfreiwilliger Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 ein erreichbares Ziel ist.
Der Berliner Masterplan zur Überwindung unfreiwilliger Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 soll dabei als gemeinsames Vorhaben der Stadtpolitik und der Stadtgesellschaft implementiert und umgesetzt werden. Für eine effektive Umsetzung des Masterplans sollten in der Senatsverwaltung für Soziales und in allen Bezirken Beauftragte für Wohnungslosenhilfe ernannt werden, die die Anstrengungen ressortübergreifend bündeln und koordinieren.
Im Detail schlagen sie einen 7-Punkte für den Masterplan vor:
- Bezahlbares Wohnen ermöglichen, durch Mietendeckel und nachfolgenden Regulierungen des Wohnungsmarktes, sowie Verdoppelung des Neubaus von bezahlbaren Wohnungen durch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften bis 2030.
- Wohnungslosigkeit vermeiden, durch eine Präventionsstrategie in zwei Phasen, die bis 2025 die Zahl von aktuell 5000 Zwangsräumungen pro Jahr halbieren soll: Phase 1 beginnt vor einem akut drohenden Wohnraumverlust und ist darauf ausgerichtet, Anzeichen für einen drohenden Wohnraumverlust zu erkennen und durch flächendeckende Angebote der Sozial- und Schuldenberatung und einen engeren Informationsaustausch zwischen Ämtern, Gerichten und Jobcentern zu verarbeiten. Phase 2 tritt dann ein, wenn akut Wohnraumverlust droht. Dies bedeutet u.a. das Berlin eine flächendeckend wirksame Interventionsinfrastruktur aufbaut (die auch die Beschlagnahme von Wohnraum beinhaltet), um sicher zu stellen, dass keine drohende Zwangsräumung unbemerkt bleibt, und kein Versuch versäumt wird, eine Räumung durch Mietschuldenübernahmen, Verhandlungen mit Vermieter*innen oder andere Maßnahmen zu verhindern.
- Unterbringungssystem zur sozialen Wohnraumversorgung umbauen, durch eine Reform der Unterbringung von Wohnungslosen nach ASOG, so das bis zum Jahr 2025 die gesamte Unterbringung von Wohnungslosen in Berlin in einem regulativen und administrativen Rahmen auf Basis einheitlicher Qualitätsstandards, Bedarfsermittlungs-, Zuweisungs- und Abrechnungsprozesse zusammen gefasst und organisiert werden kann. Bis zum Jahr 2030 solle dann Housing First zum Regelansatz der Berliner Wohnungslosenhilfe werden.
- Soziale Wohnhilfen reformieren, um bis 2025 Wohnungslosigkeit als soziale Problemlage eigenständig von bezirklichen Fachstellen für Wohnungsnotfälle zu erfassen und zu bearbeiten.
- Barrieren in die Regelsysteme abbauen: Das betrifft vor allem die Hilfen in besonderen Lebenslagen nach § 67 SGB XII, der Eingliederungshilfe sowie der Kinder- und Jugendhilfe. Dazu bräuchte es in Berlin drei Elemente: Erstens: flächendeckende diverse Beratungs- und Betreuungsangebote, auch in den Unterbringungseinrichtungen. Zweitens: niedrigschwellige Zugänge in die Hilfesysteme, die dem System der Budgetierung und Kosten- und Leistungsrechnung entzogen sind. Und drittens: eine Flexibilisierung der Leistungstypen, insbesondere im Bereich der Hilfen in besonderen Lebenslagen.
- Aufsuchende Hilfen und Notfallhilfen nach dem Empowerment-Ansatz stärken: d.h. das breite Netz an niedrigschwelligen Notfallhilfen, das aus der Kältehilfe, ganzjährigen Notübernachtungseinrichtungen, medizinischen und hygienischen Versorgungsangeboten, Tagesstätten, Suppenküchen etc. besteht auf Potenziale für eine Selbstermächtigung der betroffenden Menschen überprüfen und dahingehend qualifizieren.
- Unterbringungsträger zu sozialen Wohnungsträgern weiterentwickeln: Ein Masterplan zur Beendigung der Wohnungslosigkeit kann nur gelingen, wenn er auch die Perspektive sozialen Träger als zentralen Teil des Hilfesystems aufnimmt und gemeinsam mit diesen Akteur*innen in einem Dialogprozesse entwickelt. So sollen die Investitionen ins Unterbringungssystem künftig in den Bau und die Bewirtschaftung bezahlbarer Wohnungen umgeleitet werden. Diese sollen für die Zuweisung von Wohnraum an obdachlose Menschen im Rahmen einer flächendeckenden Umsetzung des Housing-First-Ansatzes zur Verfügung stehen.
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